Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Originalvortrag. Text und Melodie von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 352

1.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Stets erfährt man neue Schlechtigkeiten.
Gar nichts gutes wird jetzt mehr vernommen –
viel zu früh sind wir zur Welt gekommen.
Unsre Kinder hab'n 's mal besser hier,
Ach, ich wollt', ich wär ein Kind bin mir.

2.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Wo man hinsieht, Schwindel nur und Pleiten!
Einen Schwindler mit verschied'nen Strafen
frug ich heut': „Könn'n Sie den ruhig schlafen?“
„Ja“, sagt er mit heiterem Gesicht,
„Ich schlaf' gut, bloß meine Gläub'ger nicht.“

3.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Mit 'nem Bäcker kam ich heut' ins streiten.
„Ihre Brötchen sind ja jetzt so klene“;
er sagt schlau: „Die backt die Frau alleene –
denn die hat sehr kleine Pfötchen bloß
und dann werd'n die Brötchen nicht so.“

4.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Zum Gemüsehändler tat ich schreiten.
„Ihre Erbsen“, fing ich an zu lästern,
„sind heut' wieder teurer als wie gestern.“
Doch er sprach: „Heut' haben sie noch Glück,
bin ab morg'n verkauf' ich sie per Stück.“

5.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Bei 'nem Kaufmann ließ ich mich verleiten,
gab 'ne Mark ihm, kaufte Schweizer Käse,
schön durchlöchert, doch dann war ich böse, –
mach's Papier auf und ich finde nischt,
„Ja“, sagt er, „dann hab'n sie 'n Loch erwischt.“

6.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Teurer Tabak ist nicht zu bestreiten.
Darum kau'n jetzt Gummi viele Leute –
auch ein Bräutigam, der tat das heute,
küsst dabei sein Bräutchen sehr intim –
und nun kommt sie nicht mehr von ihm.

7.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
's fehlt uns sehr an neuen Baulichkeiten!
Drum baut man die alten Häuser höher
und wir komm'n den Himmel immer näher;
fällt jetzt mal ein Kind vom Dachgerüst,
ist 's ein Mann schon, wenn es unten ist.

8.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
's viel Scheidung'n jetzt bei Eheleuten.
Wenn man früh'r die zweite Frau umworben,
dann war's klar, die erste war gestorben.
Hält man heute um die zweite an,
sitzt die erste schon beim dritten Mann.

9.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Mein will jetzt die Brautleut' vorbereiten,
soll'n zusamm'n schon bleiben beim Verloben,
um ein Jahr die Eh' erst auszuproben.
Ach, ich glaub', dann wird sich bloß verlobt
und dann wird immer wieder 'n Jahr geprobt.

10.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Jeder lässt zum Nichtstun sich verleiten.
Früher im Büros die Angestellten
waren fleißig, Faule sah man selten.
Heute schafft kein Mensch in den Büros,
lösen dort die Kreuzworträtsel bloß.

11.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
An Gespenster glaub'n selbst die Gescheiten.
Spätesten hol'n den Geist durchs Fenster.
Selbst Herr Stresemann glaubt an Gespenster.
Kürzlich hat er nachts, das war nicht schön,
aus Locarno einen Geist geseh'n.

12.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Nur ein Boxkampf kann und Spaß bereiten!
Wenn die zwei halbtot am Boden liegen,
ist 's für uns ein kindliches Vergnügen,
und der Sieger von der rohen Kraft
kriegt 'nen Kranz „für Kunst und Wissenschaft“.

13.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Alle Schutzleut' lernen jetzt das Reiten.
Zeigt sich auf der Straß' ein Mordsgeselle,
wenn sie reiten, sind sie schnell zur Stelle.
Manchmal hat 's auch umgekehrten Zweck;
wenn sie reiten, sind sie schneller weg.

14.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Mord und Totschlag gibt's von allen Seiten ung
morgens kann man's fein beim Kaffee lesen –
und ist mal kein Raub und Mord gewesen,
legt man sehr enttäuscht die Zeitung hin.
„Wir bestell'n sie ab, es steht nischt drin.“

15.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Diebe könn'n bei uns nichts mehr erbeuten,
finde nichts, man muss sich beinah schämen!
Schließlich geb'n sie was, statt was zu nehmen,
wie's erst kürzlich mein Freund geschah,
weil nichts da war, ließen sie was da.

16.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Kürzlich sah ich nachts beim Heimwärtsschreiten
einen jungen Dieb 'nen Amboss tragen.
„Warum so was Schweres?“ tat ich fragen.
„Ja, ich stehl' heute 's erste Mal“, sagte er,
„und der Anfang, der ist immer schwer.“

17.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Was die Spitzbub'n uns für Angst bereiten!
Komm'n auf Tricks, die früher keiner kannte;
kürzlich hab'n sie meiner alten Tante,
als sie gähnte und nicht hingeschaut,
aus dem Munde das Gebiss geklaut.

18.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Steuern gibt's auf alle Lustbarkeiten.
Selbst 'ne Hochzeit wird besteuert heute.
Doch, als jüngst ein Mann 'ne Alte freite
und der Fiskus sah die späte Maid,
sprach er: „Nein, 's ist keine Lustbarkeit.“

19.
Kinder, Kinder, was sind heut' für Zeiten!
Im Theater gibt's nur Lüsternheiten.
Hebt im letzten Akt sich die Gardine,
steht ein Bett mit Inhalt auf der Bühne.
Was heut' auf die Bühne wird gebracht,
hab'n wir früh'r zuhause bloß gemacht.

20.
Kinder, Kinder – – – doch ich will nicht streiten,
will nicht länger schimpfen auf die Zeiten.
's liegt nicht an den Zeiten und den Ländern –
an den Menschen liegt's! – Wir woll'n uns ändern!
Wenn sich jeder Mensch erst bessern tut,
dann und auch die Zeiten wieder gut.

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