In dem Moment!
Original-Couplet, Text und Melodie von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 219
1.
Nur ein Moment –
man glaubt, da könnt’ man nichts erleben,
denn ein Moment ist gleich zu End'.
Und doch - sehr viel kann sich begeben,
zum Beispiel jetzt – in dem Moment.
In dem Moment – wo ich das kleine Lied hier singe,
geschehen hunderttausend Dinge,
die niemand ahnt – und niemand kennt
in dem Moment.
2.
In dem Moment –
da sagt im ersten Stock Frau Meier:
„Es ist ein Junge, Gott sei Dank!“
Im zweiten Stock ist Hochzeitsfeier –
im dritten Stock ist jemand krank.
In dem Moment – sind hundert auf die Welt gekommen,
sind hundert von der Welt genommen,
und hundert machen’s Testament
in dem Moment.
3.
In dem Moment –
da stiehlt ein Dieb – ein widerlicher,
vielleicht im Hause, wo ich wohn’, –
in dem Moment ist er noch sicher –
jetzt kommt der Wächter – hat ihn schon.
In dem Moment – da steht vom Frieden in den Blättern:
Jetzt setzt ein Setzer grad die Lettern,
daß irgendwo ein Krieg entbrennt
in dem Moment.
4.
In dem Moment –
es sitzt vielleicht im 5. Stocke
ein Dichterling, den niemand nennt.
Erwürgt in seiner Schillerlocke
und schreibt ein Werk, das niemand kennt.
In dem Moment – ruft mit pathetischer Gebärde
der Dichter: „Mir gehört die Erde!“
Und hat dabei nicht einen Cent
in dem Moment.
5.
In dem Moment –
kann grad' ein Bergwerk explodieren –
speit in Italien ein Vulkan –
in Rußland kann man Bomben schüren –
versinkt ein Schiff im Ozean.
In dem Moment – da fällt in Afrikas Gefilden
vielleicht ein Deutscher durch die Wilden,
der noch vorm End' die Heimat nennt
in dem Moment.
6.
In dem Moment –
da wird vielleicht ein Kind geboren,
das einst das größte Geisteslicht.
Zu welchem Ruhm es auserkoren,
die Eltern heut', sie ahnen's.
In dem Moment – da schaut vielleicht erstaunt und munter
ein Marsbewohner auf uns runter
mit einem Rieseninstrument –
in dem Moment.
7.
In dem Moment –
da schwelgt vielleicht ein Graf, ein feiner
auf seinem Schlosse schön und groß.
In dem Moment bricht untern einer
zusammen – der ist obdachlos.
In dem Moment – hört man vielleicht 'nen Herrscher toben:
„ICH bin der Herr!“ – NOCH ist er oben.
JETZT ist ein an’rer schon Regent
in dem Moment.
8.
3. In dem Moment –
da sagt in ihrer Kammer
ein armes Mütterlein gerührt:
„Ich stilllte meines Sohnes Jammer –
ich schickt’ ihm Geld, denn er studiert.“
In dem Moment – da brüllt der Sohn: „Hier ist noch offen –
die letzte Mark wird jetzt versoffen!“
Und unterm Tisch liegt der Student
in dem Moment.
4. In dem Moment –
da sitzt vielleicht der Rentier Lehmann
beim Dauerskat – die Zeit verrinnt.
Die Freunde sagen ihm: „Nun geh’ man!“
er aber bleibt noch – und gewinnt.
In dem Moment – da steht sein Weib, das holde Wesen
vielleicht zu Haus mit einem Besen
und denkt: ‚Wenn ich dich haben könnt’
in dem Moment.
5. In dem Moment –
da träumt ein Backfisch voller Freuden
von einem Fähnrich schmuck und fein.
Sie ruft im Traum: „Von dir zu scheiden,
fällt mir nicht mal im Träume ein.“
In dem Moment – da träumt auch er vom Schätzchen,
gibt ihr im Traum so manches Schmätzchen. –
Ein Glück, sie träumen sehr getrennt
in dem Moment.
6. In dem Moment –
da sitzt hier – ich sag’s ungelogen –
vielleicht ein Eh’mann, brav und schlicht.
Der wird vielleicht grad’ jetzt betrogen
und er lacht hier und ahnt es nicht.
In dem Moment – drängt grad’ ein and’rer sich dazwischen,
der Mann hier könnt’ ihn noch erwischen
in dem Moment
7. In dem Moment –
will sich ’ne Maid zur Ruhe legen. –
Das Zimmer hat kein Vis-à-vis.
und liegt zwei Treppen hoch, deswegen
schließt sie auch die Gardine nie.
In dem Moment – guckt von ’nem Hügel gegenüber
ein Jünglingmit dem Fernglas rüber
und denkt: ,Ach könnt’ ich, wie ich könnt’...´
in dem Moment
8.
In dem Moment –
da kommt grad ein Prozeß zur Reife,
denn unsre Erde, die sich dreht,
berührt vielleicht mit seinem Schweife
jetzt grade irgendein Komet.
In dem Moment – da ist vielleicht getreten worden
zum ersten Mal der Pol im Norden,
den noch kein Cook und Peary kennt
in dem Moment.
9.
In dem Moment –
da sagt vielleicht in ihrer Kammer
ein armes Mütterlein gerührt:
„Ich stillte meines Sohnes Jammer –
ich schickt' ihm Geld, denn er studiert.“
In dem Moment – da brüllt der Sohn: „Hier ist noch offen –
die letzte Mark wird jetzt versoffen.“ –
Und unterm Tisch liegt der Student.
In dem Moment.
11.
In dem Moment –
schläft Bethmann, unseres Reiches Hüter,
der Kanzler, sorglos und patent.
In dem Moment schreibt sein Gebieter
vielleicht sein Abzugs-Dokument.
In dem Moment – winkt auf der Straß' 'ne Maid voll Liebe
'nen alten Herrn – und der denkt trübe
„Wie schad', ihr fehlt das Temp'rament
in dem Moment.“
12.
In dem Moment –
da träumt ein Backfisch voller Freuden
von einem Fähnrich, schmuck und fein.
Sei ruft im Traum: „Von dir zu scheiden,
fällt mir nicht mal im Träume ein.“
In dem Moment – da träumt auch er von seinem Schätzchen,
gibt ihr im Traum so manches Schmätzchen –
Ein Glück – sie träumen sehr getrennt
in dem Moment.
13.
In dem Moment –
will sich 'ne Frau zur Ruh’ begeben –
Noch sieht sie jung und üppig aus,
ihr volles Haar verschwindet eben –
jetzt nimmt die dies und das heraus
In dem Moment – legt sie den Busen vor ihr Bette –
und jetzt die Waden und ich wette,
daß sie ihr eig’ner Mann nicht kennt
in dem Moment.
14.
In dem Moment –
da hält vielleicht in Lieb’ umschlungen
ein junger Bursch’ sein Mägdelein.
In dem Moment ist nichts gelungen,
in dem Moment sagt sie noch „Nein!“
In dem Moment – da ist vielleicht die Not am höchsten –
jetzt noch ein Kuß – und jetzt – beim nächsten,
ist ihre Willenskraft zu End’ ---
in dem Moment.
15.
In dem Moment –
da sitzt hier – ich sag's ungelogen –
vielleicht ein Eh'mann, brav und schlicht.
Der wird vielleicht jetzt gerad' betrogen
und er lacht hier – und ahnt es nicht.
In dem Moment – drängt gerad' ein andrer sich dazwischen –
der Mann hier könnt' ihn noch erwischen,
wenn er jetzt gleich nach Hause rennt
in dem Moment.
Anm.: Es erhöht den Effekt, wenn am Schluss der letzten Strophe ein alter Herr plötzlich aufsteht und eiligst den Saal verlässt.