Was die Tiere denken

Original-Couplet von Otto Reutter
Teich/Danner Nr.152

1.
Lange Zeit hat man bewundert
den berühmten „klugen“ Hans.
Doch auch and're Tiere denken,
das beweis’ ich voll und ganz.
So zum Beispiel hat ein Frauchen
auf dem Schoße ein Wauwauchen.
Doch der Hund, der denkt: Das ew’ge
Streicheln wird mir bald zu bunt.
Deine Zärtlichkeit bringt mich noch auf den Hund!
 
2.
Auf dem Rennplatz siegt ein Rappe,
keuchend kommt er an am Ziel.
Hunderttausend Mark gewonnen
hat sein Herr bei diesem Spiel.
Alle Sport- und Pferdekenner
loben nun den braven Renner.
Doch das Pferd im Stillen dachte:
Ach, ich pfeif’ auf solchen Quark.
Was hab’ ich von euren hunderttausend Mark?
 
3.
Fräulein Laura kriegt ’nen Vogel,
setzt ihn in den Käfig rein.
Und nun sagt sie alle Tage
zu dem kleinen Vögelein:
„Bist mein einziges Pläsierchen –
o, wie lieb ich dich, mein Tierchen!“
Aber traurig denkt der Vogel:
Du liebst mich und hältst mich fest?
Nein, du liebst mich dann, wenn du mich fliegen läßt!

4.
Jüngst ging der Sahara-Kaiser
mal in seine Wüste rein.
Ein Kamel stand ihm im Wege,
wütend fing er an zu schrei'n:
„Menschen will ich um mich sehen –
die Kamele können gehen!“
Aber das Kamel, das dachte:
lieber Freund – mein lacht dich aus!
Wenn du kein Kamel hier seh'n willst, dann geh raus!

5.
’s hockt ein Mäuschen vor der Falle
und es denkt sich voller Schreck:
Mausetot wollt ihr mich machen,
doch ich geh’ nicht ran an’n Speck,
mag er noch so prächtig schmecken.
Will nur mal ein wenig lecken. –
Schwapp! Da schlägt die Falle zu –
zu Ende ist nun das Idyll,
denn jetzt ist das kleine Mäuschen mäuschenstill.
 
6.
Ein noch junges Bauernweibchen
hockt im Stall und melkt die Kuh.
Und ihr Jöhrchen von ’nem Jährchen
sitzt dabei und schaut ihr zu.
„Ja“, sagt sie und küßt den Bengel, –
„die Milch ist für dich, mein Engel!“
Und die Kuh, die alte, dachte:
Also ich ernähre dich!
Na, dann wirst du auch so’n Rindvieh so wie ich!

7.
Hänschen hat ’nen Storch gesehen
und nun fängt er an zu schrei’n
„Brachtest uns schon viele Kinder –
doch jetzt kommst du nicht mehr rein.
Denn ich hab’, weil’s mich verdrossen
Mamas Fenster zugeschlossen!“
Doch der Storch, der lacht und dacht’:
O ahnungsloser Engel, du!
'n Fenster nützt da nichts – schließ man die Türe zu!
 
8.
Auf der Bühne produziert sich
mit ’nem Hündchen ein Dresseur.
Ohne Peitsche – immer freundlich –
arbeit’t mit dem Tierchen er.
Und zum Schluß küßt er das Hündchen
auf das kleine Hundemündchen.
Doch der Hund, der dacht’: Ja, vor den
Leuten hast du mich geküßt.
Wenn die wüßten, wie du auf der Probe bist!

9.
Adelgunde sitzt am Flügel,
spielt und schreit, das alles kracht.
Durch das Fenster dringt ihr toben
in die stille Sommernacht.
Eine Lerche wird das Brüllen
und sie dachte sich im Stillen:
ich sing leise – du schreist mächtig,
schlägst den Flügel noch entzwei.
Ich brauche keinen Flügel, und ich habe zwei!
 
10.
Schulz, ein echter Sonntagsjäger,
der noch niemals Glück gehabt,
der hat endlich im Gebüsche
einen Hasen mal ertappt.
Ruhig bleibt der kleine Hase
vor ihm sitzen auf dem Grase.
Schulz legt an. Der Hase dachte:
Schieß’ nur zu – ich habe Zeit.
Bist ja Sonntagsjäger, und ’s ist Mittwoch heut'.

11.
Im Hotel, da springt ein Schläfer
aus dem Bette in der Nacht.
Und er sucht den kleinen Käfer,
der ihn um die Ruh’ gebracht.
„Laß ihn sitzen“, sagt er plötzlich,
denn es fror ihn ganz entsetzlich.
Doch der kleine Käfer dachte:
Daß DICH friert, das find ich dumm,
denn ICH hüpf das ganze Jahr im Hemd herum!

12.
„Uns’re Katze, die hat Junge!“
schallt es durch das ganze Haus.
Alle Kinder komm’n gesprungen
und der Kleinste, der ruft aus:
„Jedes Kind hat einen Vater –
hat die Katz’ denn keinen Kater?“
Doch die Katzenmutter dachte:
Ja, ’nen Kater hatte ich,
doch der Lump läßt die Familie jetzt im Stich!
 
13.
Auf dem Hühnerhof stolziert der
Hahn mit seiner Hühnerschar –
und des Gutsbesitzers Söhnchen
ruft: „Papa, wie sonderbar!
Schau nur an den Hahn, den trägen,
der kann nicht ’mal Eier legen!“
Doch der Hahn, der dacht’ im still’n: Ja,
ihr bewundert nur das Huhn.
Eier leg’ ich nicht, doch ich hab’ auch zu tun!

14.
's geht Herr Meyer mit Familie
zum zoolog'schen Garten raus.
Plötzlich ruft sein kleines Söhnchen
vor dem Elefantenhaus:
„Tatzleben, komm a bissel!
Sieh dir an den großen Rüssel“,
doch der Elefant, der dachte:
ist mein Rüssel dir zu groß?
Lieber Meyer, fass dich man an deine Nos'!

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