Und jetzt?
Alte und neue Geschichten von Otto Reutter
Teich/Danner Nr.81
1.
Mancher arme Komponist,
der schon längst begraben ist,
kommt erst jetzt zu Ruhm und Ehr –
jetzt erst wird er populär.
Als er lebte, litt er Not,
hatte kaum sein täglich Brot –
doch ein Denkmal hat er heut. –
Ja, so war's in früherer Zeit.
Und jetzt?
Schreibt heut ein junger Dichterling
ein leidlich gutes Stück,
dann wird erreicht, er ist berühmt
im selben Augenblick.
Schaut euch nur den Mascagni an
mit seiner „Bauernehr' – oben:
ein kleines Stück – ein großes Glück –
jetzt ist er Millionär!
2.
Ach, wie schön war's auf der Welt
in der früheren Zeit bestellt,
als bescheiden, fleißig, brav
man noch jede Dienstmagd traf.
Ja, es war in früherer Zeit
keine große Seltenheit,
das ne Dienstmagd 50 Jahr
bei der selben Herrschaft war.
Und jetzt?
Sucht heut ne Herrschaft eine Magd,
dann sagt die heute Maid:
„Ich wünsch ein Zweirad, ein Klavier –
vielen Lohn und freie Zeit.
Brauch freie Kost für meinen Schatz.
2 Zimmer vorne raus. –
Noch Eins: sobald Sie Kinder krieg'n,
dann zieh ich wieder aus!“
3.
Als ich einst mein Weib gefreit,
sprach ich voller Seligkeit:
„Nimmt in meinem Herzen Platz!
Du nur bist mein einziger Schatz!
Ist mir mehr, als alles Geld,
und um keinen Preis der Welt
geb ich dich, ein Weibchen, her!
Du bist mir und endlich mehr!“
Und jetzt?
10 Jahre ist die Hochzeit her.
Ich schau mein Weibchen an
und denk: „Ist's möglich, dass ne Frau
sich so verändern kann?
„Ich lasse dich um keinen Preis!“
So sprach ich einst zu ihr.
Jetzt möcht ich sie verkaufen, doch
man gibt mir nichts dafür!
4.
Wenn uns früher unser Lieb
aus der Ferne etwas schrieb,
Sehnsucht krank und liebestoll
schrieb sie 16 Seiten voll.
Jeden Rand beschrieb sie dann,
fügt noch im Postskriptum an:
„Lieber Schatz! Es eilt heut sehr!
Morgen schreibe ich dir mehr!“
Und jetzt?
Jetzt schicken Ansicht-Postkarten nur
die lieben Mägdelein –
die Ansicht nimmt das meiste dann
auf solcher Karte ein.
Weil so ne Maid von heut nicht weiß,
was sie ihm schreiben soll,
so schreibt sie 'n ,nen Kuss und Schluss!
Dann ist die Karte voll!
5.
Wenn der Storch in finsterer Nacht
früher mal ein Kind gebracht,
hat der Papa still vergnügt
seinen Sohn im Arm gewiegt.
Wenn der kleine durstig war,
reicht er ihn der Mama dar,
weil man so was von nem Mann
doch nicht gut verlangen kann!
Und jetzt?
Jetzt werden Brutmaschinen für
die Kinder aufgestellt.
Ja, nächstens komm'n die Kinder
ohne Eltern auf die Welt.
So'n Kind hat nicht mal ne Mama.
Frägt man den kleinen Wicht:
„Wo ist Papa?“ Dann lacht er nur
und sagt: „Du ahnst es nicht!“
6.
's sind jetzt über 30 Jahr,
seit die Schlacht bei Sedan war.
Frankreich hat seit dieser Schlacht
stets die Deutschen schlecht gemacht.
Bismarck ganz besonders war
dort verhasst – das ist doch klar! –
„Gibt uns Elsass!“ schrieen sie –
„Sonst versöhnen wir uns nie!“
Und jetzt?
Auf der Pariser Ausstellung
kriegt Deutschland manchen Preis.
Franzosen, Deutsche waren vereint
in China, wie man weiß.
Wir trinken nun bald Brüderschaft!
Drum wird das Beste sein:
wir spielen die „Marseillaise“ jetzt
und die „Die Wacht am Rhein!“
(spätere Fassung von 6.)
's sind schon über 40 Jahr,
seit der Krieg von Siebzig war.
Als zu Ende war der Streit,
waren alle sehr erfreut.
Denn ein Krieg, der kostet „Moos“.
Drum dacht Deutscher und Franzos:
's kann im Frieden nur allein
unser schönes Land gedeihen!
Und jetzt?
Jetzt rüsten Deutschland, Frankreich sich
im Frieden um die Wett!
Wir zahlen'ne Milliarde für
den Frieden auf ein Brett.
Wir zahlen in jedem Jahre mehr
und bald wird allen klar:
Jetzt ist der Frieden teurer, wie
ein Krieg von früher war.