Der Zukunftsstaat

Original-Szene von Otto Reutter

Teich/Danner Nr. 171

(Der vortragende tritt in schäbiger Fantasie-Uniform, mit vielen Orden behangen, einen Dreimaster auf dem Kopfe und einen Knüppel in der Hand, auf. Er macht den Eindruck eines leicht Berauschten.)

(Im Hintergrund singen)
Hurrah! (Zwischenspiel)
Hurrah! (Zwischenspiel)
Der Zukunftsstaat (Zwischenspiel)
Ist da! (Zwischenspiel)
Hurrah! (Zwischenspiel)

(Vortretend)
Ihr scheint es fast, Sie kennen mich nicht wieder.
Sie zweifeln wohl, ob ich der (Name des vortragenden) sei.
Jawohl, ich bin's, einst sang ich frohe Lieder,
doch damit ist's für immer jetzt vorbei.
Jetzt setze ich mich hin wohl auf das Kanapee,
Sie hör'n von mir nie wieder ein Couplet.
Ich gründ' den Zukunftsstaat – nun ruft man rings umher:
„Da geht er hin – und singt – nicht mehr.“

Strömt herbei, ihr Völkerschaaren,
tretet in mein Bündnis ein –
lasst den Frieden uns bewahren,
wie die Brüder woll'n wir sein.
Und wollt ihr keine Brüder sein – (Zwischenspiel)
dann schlag' ich euch den Schädel ein. (Zwischenspiel)

Jetzt leben wir, jetzt leben wir
gerade wie die Ferschten (Fürsten) –
solange wie wir leben, da ist noch alles da.
Jetzt zieh' ich nach Berlin hinein
und meine Residenz
errichte ich gerade vor der Konkurrenz.

Couplet

1.
Der soziale Demokrat
sprach schon oft vom Zukunftsstaat –
aber es ist ein Malheur –
wir erleben das nicht mehr.
Meinen Staat, den gründ' ich mir
nach 'ner eigenen Manier.
Sie soll'n seh'n, im Deutschen Reich
werd'n jetzt alle Deutschen reich.
Ja, jetzt wird unverweilt
der ganze „Kitt“ geteilt –
nur ich allein darf profitier'n,
man kann doch nicht umsonst regier'n.
Ein Jeder kriegt, auf Ehr,
ein Haus nebst Zubehör –
und bist sehr kunstverständig du,
dann kriegst du noch ein Denkmal zu.
Der Zukunftsstaat wird einzig in der Tat.
Ja, ich regieren meine Leut' von früh bis spät.
Nur sonntags nicht, denn da wird nichts gemacht –
's Regieren fängt erst wieder an am Montag früh um 8.

2.
Titel, Würden, welch ein Glück,
gibt es dann im Augenblick –
willst du werden ein Baron –
schreib' dich „von“ – dann ist du's schon.
Diesen Orden, gelb und grün,
habe ich mir selbst verlieh'n
also, macht es Ihn'n Vergnüg'n,
könn'n Sie auch so'n Vogel krieg'n.
Jetzt liegt die Arbeit still –
Man schaft nur, wenn man will –
sogar ein Fürst hat seine Qual.
Sagt der zum Diener: „Komme mal
und räum' die Stube auf!“
Dann sagt der Diener drauf:
„Nee, sieh' Mann zu, mein lieber Fürst,
wie du alleine fertig wirst!“
In Zukunft Staat bin ich der Hauptsoldat.
Doch ich muss auch pacier'n in meinem Zukunftsstaat.
Tu' ich das nicht, dann sieht es trübe aus,
mir geht's wie'm Schwedenkönig dann, dann schmeißen Sie mich aus.

3.
Liebe Frauen, freuet euch –
herrlich wird's im Zukunftsreich.
Denn ihr kriegt das gleiche Recht,
wie das männliche Geschlecht.
Ja, ihr habt das Recht wie wir –
aber außerdem habt ihr
auch die gleichen Pflichten dann –
ihr müsst zahlen wie der Mann.
Zum Beispiel: Sitzen mal
im Séparée-Lokal
Zwei Liebesleut' beim Glase Wein
dann zahlt der Mann nicht mehr allein.
Kommt dann der Kellner 'ran,
dann sagt zu ihr der Mann:
„Du amüsiert dich auch, ich bitt',
nun zahl' du mal die Hälfte mit!“
In Zukunft Staat wird's einzig in der Tat.
Wir teil'n das ganze Geld, das Mittel ist probat
spart jemand dann und häuft sein Kapital –
dann nehm'n wir ihm den ganzen Kitt und teilen noch einmal.

4.
Schafft im Zukunftsstaat der Mann
mal ein junges Weib sich an –
dann gibt es als Änderung
Vierteljähr'ge Kündigung.
's wird 3 Monat lang probiert,
wie die Frau sich aufgeführt –
ist sie auf sein Wohl bedacht,
werd'n 6 Monat draus gemacht.
Hält's dann der Mann noch aus,
dann werd'n 9 Monat draus –
dann hat er Zeit genug gehabt,
um einzuseh'n, ob alles klappt.
Doch ist die Frau nichts wert,
dann ist die Sach' verkehrt –
dann sagt der Mann: „Das hat kein'n Zweck,
am nächsten 1. zieh' ich weg.“
Im Zukunftsstaat wird's einzig in der Tat.
Ein Kind wird von der Frau ernährt im Zukunftsstaat.
's hat die Natur doch schon so eingericht't –
wenn wir's bezahlen sollten, hätten wir's gekriegt.

5.
Gibt's in Zukunftstaat mal Krieg,
kommen wir sehr leicht zum Sieg –
da wir alle einig sind,
geht die Sache sehr geschwind.
Mann und Frau und Kind und Greis
alle kommen haufenweis –
der Graf Pückler vorne weg,
da kriegt der Feind den größten Schreck.
's ist alles Kinderspiel –
geschossen wird nicht viel
auch Fotografen hab'n wir dort.
Die Knirpsen mich in einem fort.
Ich sag' zu meinem Heer:
„Schießt gut und schießt verquer –
schießt ruhig in die Luft ein Loch,
denn in „Die Woche“ komm'n wir doch.“
Der Zukunftstaat wird einzig in der Tat.
Nun geben Sie mal acht – die Zukunftsgarde naht.

(Der Vortragende tritt nach hinten ab, um seine „Zukunftsgarde“ zu holen. Diese „Garde“ besteht aus einem halben Dutzend Gestalten, denen man es einsieht, dass sie keine Freunde vom Arbeiten sind. Sie tragen alte Soldaten rückte, haben Schnapsflaschen und Proviantbeutel bei sich und sind mit Knütteln oder alten Säbeln und Gewehren bewaffnet es erhöht die Wirkung, wenn sich auch ein weiblicher Soldat, einen Besen über der Schulter, dabei befindet im Übrigen ist der Fantasie des Vortragenden bei der aus Statuierung seines „Heeres“ ein weiter Spielraum gelassen. Der Vortragende selbst kann, wenn ihm dieses möglich, hinter seinen Soldaten auf einem Pferde *) einher reiten. In diesem Falle singt er, um Zeit zum Ausrüsten zu gewinnen, die nächst folgenden Zeilen hinter der Szene. Dieser Daten wiederholen dabei seine Worte.)

(Der Vortragende) Hurrah!
(Die Soldaten) Hurrah!
(Der Vortragende) Hurrah!
(Die Soldaten) Hurrah!
(Der Vortragende) Der Zukunftsstaat –
(die Soldaten) Der Zukunftsstaat –
(der Vortragende) ist da!
(Die Soldaten) ist da!
(Alle) Hurrah!
(Nunmehr marschiert das „Zukunftsheer“ nach den Klängen der Musik nach vorn. Der Vortragende kommandiert)
Halt! Front! Achtung! Präsentiert das Gewehr!
(Die Soldaten präsentieren ihre Knüttel und Säbel. Die Musik spielt dazu die Anfangstakte des Liedes „Du bist verrückt, mein Kind“, was sich der Kommandeur energisch verbittet es folgt das Kommando:)
Rührt Euch!
(Der Vortragende singt zum Publikum:)
Kommt drauf und stellt Euch hier mit ran.
Wir fang'n für uns alleine an.
Zu End' ist alle Not und Pein!
Lieb' Vaterland, magst ruhig sein!
(Es folgt das Kommando:)
Links um! Vorwärts Marsch!
(alle marschieren ab, wobei der Vortragende singt:)
auf nach Berlin, geliebte Brüder!
Dem kühnen Wort folgt jetzt die Tat.
Leb wohl, ihr seht uns niemals wieder.
Es lebe hoch der Zukunftsstaat!

*) Ein derartiges Pferd, welches so eingerichtet ist, dass der Vortragende durch eine Öffnung im Rücken hinein steigt, was so aussieht, als ob er wirklich auf dem Pferd säße, ist durch die Verlagshandlung zum Preis von 4,50 M zu beziehen.
Das Pferd ist aus starker Pappe mit schöner lithographischer Zeichnung (siehe Titelbild) hergestellt.

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