Das dank' ich dir, mein teures Vaterland!

Original-Couplet von Otto Reutter
Teich/Danner Nr.189

1.
In unserem Bereich gibt's oft 'ne neue Steuer,
wo anders ist's oft bill'ger, wie bekannt.
Gerad unser Vaterland ist etwas teurer,
da hier der Name: Teures Vaterland.
Auch die Zigarr'n will man jetzt noch verteuern,
da steckt ich keinen Stängel mehr in Brand,
dann spar ich Geld. Wodurch? Durch neue Steuern.
Das dank' ich dir, mein teures Vaterland!

2.
Ein armer Schlucker kam jüngst in Bedrängnis,
da schlug er einfach eine Scheibe ein
der Schutzmann kam, nun sitzt er im Gefängnis,
doch er denkt lachend dort: Hier hab ich's fein!
Der Wärter hier behandelt mich mit Schonung,
die Sorgen sind 4 Wochen lang gebannt.
Ich hab mein Essen, hab 'ne freie Wohnung.
Das dank' ich dir, mein teures Vaterland!

3.
Die kleinen Kinder hab'n oft ihre Plage –
doch herrlich hab'n's die Kinder in Berlin.
Die freu'n sich immer am Paradetage,
da hat ein kleiner Engel froh geschrien:
„Ick bleibe heut nich sitzen uff dem Stuhle,
ick loofe rum und bin aus Rand und Band.
Wir hab'n Parade, da hab'n wa keene Schule.
Det dank' ick Dir, mein teires Vataland!“

4.
Vor läng'rer Zeit, da gab es 'nen Minister,
halb Spekulant, halb Schweinelieferant.
Man weiß, in Gnaden längst entlassen ist er,
denn er war kränklich, wohl allbekannt.
Heut' ist er wieder munter, wie 'ne Lerche
und sagt zur Frau: „Ihr Leben jetzt charmant.
Ich wurde Reich durch deine Trippelskerche,
das dank' ich dir, mein teures Vaterland!“

5.
Ein alter Metzger fing jüngst an zu weinen.
„Mir geht's jetzt schlecht“, so sprach er voller Wut,
„Sonst nährt ich redlich mich von fremden Schweinen
ich kaufte billig und verkaufte gut.
Jetzt schau'n Sie her“, so sprach der alte Knabe,
„Die fremden Schweine sind von mir verbannt.
Das einz'ge Schwein, das deutsche, dass ich habe,
das dank' ich dir, mein teures Vaterland!“

6.
Der Hans vom Land, der kommt zu Militäre
und schreibt die lieben Eltern weit nach Haus:
„Ich glaubt bisher stets, dass ein Mensch ich wäre –
doch ich sag's frei, ich kenn' mich nicht mehr aus
was hört man hier für schöne Redensarten,
ich werde Esel, Ochs, Kamel genannt.
Ich komm' mir vor, wie ein zoolog'scher Garten.
Das dank' ich dir, mein teures Vaterland!“

7.
Schon mancher Monat ist dahin geflossen,
seit die Geschicht' in Köpenick passiert.
Viel Geld hat man zusammen schon geschossen,
das wird dem „Hauptmann“, wenn er frei, spendiert.
Drum denkt er froh in seinem Loch, dem dustern:
Hauptmann a.D. werd' später ich genannt,
ich krieg viel Geld und brauch nie wieder schustern.
Das dank' ich dir, mein teures Vaterland!

8.
's gibt kein Retourbillet mehr auf der Reise –
auch Freigepäck, das gibt es heut nicht mehr.
's gibt Eil- und Schnellzug, zu verschied'nem Preise.
Mal kost't es mehr, mal wen'ger als bisher.
Ja, wenn ich heut mal in ein Kursbuch gucke,
werf' ich's bald fort und rufe wutentbrannt:
„Les' ich noch länger, werd' ich ganz meschugge.
Das dank' ich dir, mein teures Vaterland!“

9.
In Polen sind die kleinen Polenkinder
schon in der Schule störrisch wie ein Bock.
Nix Deutsch woll'n lernen diese kleinen Sünder,
dann kommt der deutsche Lehrer mit dem Stock.
Dann singt das Kind, das schon so früh verdorben,
ein Lied – und reibt sich hinten mit der Hand:
„Ich bin ein Deitscher, kennt Ihr meine Forben.
Das dank' ich dir, mein teures Vaterland!“

10.
Den Herrn Franzosen ist dahin geschwunden
ein Luftballon, den nannten Sie „Patrie“.
„Patrie“ heißt „Vaterland“. – Ich hab' gefunden,
schon in dem Namen liegt 'ne Ironie.
Sie haben jetzt ihr „Vaterland“ verloren.
Als den Soldaten der Ballon entschwand,
rief der Gen'ral: „Mon Dieu, ich bin blamoren.
Das dank' ich dir, mein teures "Vaterland"“!

11.
Marie, die Köchin, liebte 'nen Rekruten.
Sie küsste oft den schmucken Reitersmann,
presst ihn ans Herz und sang voll Liebesgluten:
„An's Vaterland, an's teure, schließ dich an!“
Nach kurzer Zeit sah ich das Mädchen wieder. –
Sie trug ein Kind. Da frug ich ungalant:
„Wo kam das her?“ Da sang sie treu und bieder:
„Das dank' ich dir, mein teures Vaterland!“

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