Der Gedankenleser
Original-Szene von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 243
Der Vortragende braucht für jede Couplet-Strophe einen Kopf und stehen diese Köpfe bei Beginn des Vortrages im Vordergrund der Szene. Die Köpfe sind von G. Danner, Mühlhausen i. Thür. Zum Preis von Mark 3,- (excl. Porto und Verpackung) zu beziehen. – Folgende Requisiten, die anscheinend den Köpfen zu entnehmen sind, liegen hinter diesen bereit:
Zu Strophe 1. eine Weckeruhr, ein Bündel „Paragraphen“ an einer Schnur, ein Zopf.
2. einige kleine Musik-Instrumente zusammengebunden, eine Posaune, ein Paket Banknoten, ein Zettel mit „Dissonanzen“, ein Zettel mit 4 Noten
3. eine Puppe, ein Haus, ein Weihnachtsmann, ein Storch, eine kleine, männliche Puppe (Sekundander)
4. eine Zentrumsscheibe, eine männliche Puppe mit staubigen, rotem Haar und Bart (Sozialdemokrat), ein großes Paket rote Mandate, 2 kleine Felle, einige blaue Mandate
5. je ein Zettel mit Noten, versehen mit den Namen: Johann Strauß, Millöcker, Offenbach und Suppé. Außerdem ein ganz kleiner Zettel mit Noten, darüber steht: „Von mir“
6. je eine Nummer: „Fliegende Blätter“, „Lustige Blätter“, „Jugend“ und „Simplicissimus“
7. ein kleiner Globus, ein kleines Schiff, ein kleiner Franzose, große und Italiener, ein ganz kleiner, deutscher Soldat
8. ein kleines Mühlenrad, ein schwarz-blaues Blöckchen, ein Zettel mit einem Adelswappen, ein kleiner, schwarzer Turm, ein kleiner Zettel, worauf steht: „Wahl-Reform!“
9. 2 kleine Puppen (Künstler und Assessor), eine größere Puppe (Leutnant), sowie einen alten Mann in Form eines Hampelmanns zum ziehen
10. eine kleine, hübsche Puppe, 2 Zettel (Adresse von der Balletteuse und Katalog von der Masseuse), ein Bild, Cleo de Merode darstellend, viele ulkige , pikante Ansichtskarten an einer langen Schnur
11. eine lange, magere Puppe (männlich), ein dicker Soldat, ein sehr großes Portemonnais, das weit zu öffnen ist, ein sehr kleiner, winzig gefüllter Geldbeutel
12. eine kleine „Nordpolspitze“ aus Pappe, eine Katze, eine Ente, ein Bär, ein Ochs, ein kleiner Vogel
13. etwas Stroh, etwas Kohl, eine Tüte mit Grütze
Auftrittslied
Die meisten Menschen denken oft
ganz anders, als sie reden. –
Doch mir macht keiner etwas weiß,
denn ich durchschau 'nen jeden.
Ich sehe, was im Kopfe drin,
weil ich Gedankenleser bin.
Die Menschen brauch' ich nicht dazu,
ich forme ihre Köpfe –
und will ich, was die denken, seh'n,
dann schau' ich in die Schöpfe.
Von all den Köpfen, die hier stehn,
soll'n Sie jetzt die Gedanken seh'n.
Couplet
1.
Hier ist der Kopf von einem Bürokraten.
Ist sehr exakt und sehr korrekt geraten.
Zu jeder Zeit hat in dem Kopf der Gute
hier diese Uhr, – die geht auf die Minute.
Geht Sie mal vor, kann er nicht ruhig schlafen.
Im Schädel hat er lauter Paragraphen.
Bei Neuerungen ruft er: „Faule Finten!“
Denn hinten – ganz hinten – regt er
'nen Zopf, der hängt noch immer hinten.
(Der Vortragende stellt hierbei den Zopf des Bürokraten in die Höhe)
2.
Hier Richard Strauss, der Mann, der eminente.
Ich fand in seinem Kopf viel Instrumente.
Und die Posaune, diese wundersame –
ich hab' gehört, er braucht sie zur Reklame
nach Noten suchte ich in allen Ecken,
doch konnte ich Bank-Noten nur entdecken
und Dissonanzen, die mein Ohr bedrohten –
und hinten – ganz hinten – fand ich vier richt'ge, reguläre Noten.
3.
Der Backfisch hat die Puppe noch im Kopfe,
der Osterhase steckt ihr noch im Schopfe.
Sie glaubt noch an den Weihnachtsmann, den lieben,
der Klapperstorch ist noch nicht ausgetrieben.
Mir aber scheint, bald ändern sich die Zeiten,
dann klappt sie nicht mehr an die Herrlichkeiten.
Schon pocht die Zukunft ein als leiser Mahner,
denn hinten – ganz hinten – da hat sie schon 'nen kleinen Sekundander.
4.
Hier ist ein Kopf, sehr kühn und sehr vermessen,
konservativ, der will den Freisinn fressen.
Sein Kopf, der schließt 'nen großen, schwarzen Schatz ein.
'ne Zentrumsscheibe nimmt den größten Platz ein.
Ihm steckt im Kopf der rote Demokrate.
Er denkt: „Der Kerl, der hat zu viele Mandate.“
Hier sind die Felle, die ihm weg geschwommen –
und hinten, ganz hinten, ein paar Mandate, die hat er bekommen.
5.
Hier dieser Komponist, der riesig nette,
der Mann schreibt grad 'ne neue Operette.
In seinem Kopf ist sie schon halb gediehen,
ich fand 'nen „Strauß“ der schönsten Melodien.
Von Millöcker lässt er ein Lied erschallen,
von Offenbach ist ihm was reingefallen,
und von Suppé ein reizendes Coupletchen –
und hinten – ganz hinten – ein ganzes kleines, eigenes Ideechen.
6.
Sie seh'n in diesem Kopf, dem geistig regen,
'nen Lustspiel-Dichter als Pendant dagegen.
Der schreibt ein Lustspiel – jeder wird es loben.
Sechs Scherze aus den „Fliegenden“ sind oben.
Hier aus den „Lust'gen Blättern“ was zum lachen.
Aus „Jugend“, „Simplicissimus“ drei Sachen.
Ich nahm ihm alles raus – 's ist nichts geblieben –
das Lustspiel hat er aber doch geschrieben.
7.
Hier ist ein lieber, braver Engeländer,
der hat im Kopf 'ne ganze Menge Länder.
Er wird zum Schluss 'nen Wasserkopf bekommen,
schon wieder ist ein Schiff drin rumgeschwommen.
Für den Franzosen kommt er aus dem Häuschen.
Hier ist die Liebe zum kleinen Nikoläuschen
und für Italien, um den Feind zu peitschen –
und hinten – ganz hinten – ein kleines bisschen Liebe für die Deutschen.
8.
Herr Bethmann-Hollweg hat seit vielen Wochen
sich nach den Wahlen einen Kopf zerbrochen.
Ich schaue in den „Hollweg“ tief hinunter.
Wie'n Mühlenrad geht's drüber dort und drunter.
Den Freisinn seh' ich unten links im Eckchen
und oben rechts ein schwarzes – blaues Blöckchen,
ein Adelswappen und ein Zentrumstürmchen –
und hinten, – ganz hinten, – fand ich ein ganzes kleines Wahlreförmchen
9.
Die schöne Frau, die Sie zu seh'n bekommen,
die hat 'nen reichen, alten Mann genommen.
„Ich liebe ihn“, so sagt sie sehr geläufig.
Sie ist ihm treu – nicht immer, aber häufig.
Ihr steckt im Kopf ein Künstler, ein Assessor –
und dieser Leutnant, der küsst noch viel besser.
Den will Sie küssen, – mit dem will Sie pappeln –
und hinten, – ganz hinten, – lässt Sie den armen, alten Gatten zappeln.
(Der Vortragende zieht hierbei an der Schnur des Hampelmanns)
10.
Hier ist ein Herr vom Sittlichkeitsvereine, –
der ist ja brav, – da meidet das Gemeine. –
Was hat wohl solch ein Mann in seinem Schädel?
Ich fand in seinem Kopf ein hübsches Mädel.
Hier die Adresse einer Balletteuse –
und hier 'nen Katalog von 'ner Masseuse –
hier „Cleo“ vom Berliner Wintergarten –
und hinten, ganz hinten, – 'ne ganze Menge verbot'ne Ansichtskarten.
11.
Der deutsche Michel hier, der arme Sünder,
die Frau Germania hat von ihm zwei Kinder.
Ein Zivilist, der ungewöhnlich dünn ist –
und ein Soldat, in dem 'ne Menge drin ist.
Die stecken ihm im Kopf, die machen Sorgen.
Für den Soldat muss zahlen er und borgen.
Er denkt ans Geld, um ihn gut auszurüsten –
und hinten – ganz hinten – der steckt ein bisschen für den Zivilisten.
12.
Wir es der Kopf von einem Nordpolfahrer,
der ist verrückt, er glaubt, am Nordpol war er.
Die Nordpolspitze steckt im Kopf, er hat se.
Hier kann man seh'n, die Fahrt für die Katze
'ne Riesenente hab ich drin gefunden –
hier ist der Bär, den er uns auf gebunden.
Hier ist der Ochs, der glaubt ein sein Gemogel.
Und hinten, – ganz hinten, – sieht man genau, der Kerl der hat 'nen Vogel.
13.
(Es erhöht die Wirkung, wenn der Vortragende zum Schluss seinen eigenen Kopf zeigt. Wie aus den folgenden Strophen hervorgeht, braucht er nicht sonderlich ähnlich zu sein)
Nun bitt' ich, dürfen Sie nicht bös auf mich sein –
jetzt kommt ein Kopf – der Kopf soll nämlich ich sein. –
So ähnlich, wie der Schädel ist mir keiner –
der Kopf ist mir viel ähnlicher als meiner.
Ich habe nichts im Kopf, als faule Witze –
'ne Menge Stroh und Kohl – und etwas Grütze. –
(Nimmt hierbei etwas Grütze aus dem Kopf und streut sie wieder hinein)
'ne Menge Unsinn und sehr wenig Klarheit –
doch hinten – ganz hinten – da steckt vielleicht ein kleines Körnchen Wahrheit.