Michel und die Wehrvorlage
Original-Kostüm-Potpourri von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 255
Nachdem die Melodien des Vorspieles: „Wer will unter die Soldaten“ und „O du lieber Augustin“ verklungen sind, betritt zunächst ein als grotesker Steuerbeamter verkleideter Statist die Scene. Während der Melodie: „Siehste wohl, da kimmt er“ marschiert er, nach allen Seiten spähend, über die Bühne und geht auf der entgegengesetzten Seite ab. Dann erscheint Michel und singt:
Hab'n Sie hier nicht 'ne Person geseh'n?
Sah'n Sie sie nicht ihr vorüber gehn?
's war der Mann der Steuer,
den lieb ich ungeheuer –
was der sieht – o Schreck! –
Das nimmt er weg vom Fleck.
Ich bin ein deutscher, dulde manche Plage –
den lieben deutschen Michel sehen Sie,
ich soll bezahlen für die Wehrvorlage.
Ich wehre mich vor solcher Lage nie,
geb' alles gern zum Pfande –
dir, teuren Vaterlande!
Für dich, da hab ich stets 'ne off'ne Hand,
du bist ein ziemlich teures Vaterland.
Berappen, berappen,
berappen muss ich –
sonst kommt der Exkutor,
dann bittet er mich:
„Komm in meine Liebeslaube,
komm ins Steuerhaus,
hol dort mit der Steuerschraube
dir die Steuern raus.“ –
Und willig schimpfen, sagt er: „Ruhig sein!
Bezahl – halt's Maul – und sing' die Wacht am Rhein!“
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so traurig bin.
Oft denk' ich an frühere Zeiten –
die sind wohl für immer dahin.
Ich hab als deutscher Michel
zwei Söhne, die bekannt.
Der eine dient zu Wasser –
der and're auf dem Land.
Hab ich für mich was übrig
und denk': Du sparst dir was –
sagt einer von den beiden stets:
„Ach, Michel, schenk' mir das!“
Erst war'n Sie ziemlich klein,
Sie wuchsen ungemein.
Jetzt sind Sie, gehen kaum noch
in meine Stube rein.
Ja, so zwei, wie die zwei, gibt's keine zwei mehr.
Ein Kopf, der ist voll und mein Beutel ist leer.
Als wir Siebzig gegen Frankreich
kämpften, wie das unsre Pflicht,
da bekam'n wir fünf Milliarden –
wo sie jetzt sind, weiß ich nicht.
Ja, Bismarck bracht' uns einst Milliarden
aus französischem Gebiet.
Bethmann holt sie von uns Deutschen,
das ist ein großer Unterschied. –
Ach, jetzt rüsten alle Staaten! –
Hätten wir statt mehr Soldaten
weniger in jedem Reiche,
wer das Resultat das gleiche.
Statt mit Rüsten sich zu brüsten,
müssten alle sich entrüstet.
Wär' entrüstet 's ganze Heer,
wär'n Sie nicht „entrüstet“ mehr.
Doch jetzt kommen neue Streiter
immer weiter, immer weiter. – –
Bringt einer mehr, dann bringt der and're viel mehr,
's kommt noch soweit, wir haben kein Zivil mehr.
Das Heer wächst stets rapide und geschwinder,
der Nachwuchs fehlt – dann heißt's: verschafft uns Kinder!
Nun soll'n wir bei dem Zahlen und dem Borgen
auch noch die Lust hab'n und für Nachwuchs sorgen,
soll'n bei dem Kummer auch noch Kinder Spenden –
Kinder, Kinder, wie soll das noch enden! –
Die Zeit ist ernst, denn mit den Mächten,
da ist kein Bund zu Flechten – alle Mächte möchten.
Ach, seh'n Mächte 'n Vorteil bloß,
geht's Mächtel-techtel-möchtel los.
Ja, das haben die – Mächte so gerne –
doch mein Blick schweift voll Kummer und Hohn
nach dem Friedenspalast in der Ferne,
da träum' ich so gerne davon.
Michel hat schon wieder mal geträumt: – –
(es ertönt ein Schuss hinter der Scene; Michel erschreckt und singt weiter)
Wer will unter die Soldaten,
der muss haben ein Gewehr
und Kanonen Und schwer.
Die liefert Krupp – der hat kein'n Schaden,
seh ich den Krupp, dann sing' ich ihm zur Ehr':
Kruppchen, du bist mein Augenstern –
Kruppchen, ich hab dich gar so gern –
Kruppchen, mein liebes Kruppchen –
Nee, ohne Spaß –
du hast so was (Pantomime des Geld zählens)
seh'n Sie, das ist ein Geschäft,
das bringt noch was ein.
(Der Steuerbote erscheint wieder und erblickt den Michel,, den er zu Beginn des Potpourris vergeblich suchte. Michel sieht den Booten und singt:)
Ich muss bezahlen – Ach, da kommt
der Steuerbote rein.
(Der Steuerbote geht auf Michel zu. Michel singt dabei:)
Siehste wohl, da kimmt er –
was er sieht, dass nimmt er.
(Michel nimmt einen Hundertmarkschein aus der linken Westentasche, betrachtet ihn wehmütig und singt:)
Ach, bleib bei mir und geh nicht fort!
An meinem Herzen ist der schönste Ort!
(Er legt den Schein in die geöffnete große Geldtasche des Steuerboten, dabei singend:)
Wer weiß, ob wir uns wieder seh'n!
(Nimmt noch 4 Geldscheine aus dem Portmonee, legt sie in die Tasche des Boten und singt:)
Eins, zwei, drei, vier –
jetzt sing' ich die Berappungs-Arie
und zahle voll Pläsier.
(Er schüttet Geld in die Taschen des Steuerboten und singt feierlich)
Deutschland, Deutschland über alles –
nimm es hin, das schöne Geld.
Mir geht ein vergnügter Dalles
über alles in der Welt.
(Michel – mit heraushängenden leeren Taschen – und der Steuerbote marschieren nach der Musik: „Ich bin ein Preuße“ ab)