Man holt das Alte wieder raus
Original-Vortrag von Otto Reutter
Teich/ Danner Nr. 324

1.
Man schwärmt fürs Neue heutzutage,
hat sich vom Alten abgekehrt -
Doch manches Alte, ohne Frage -
hält seinen Wert - und bleibt begehrt.
Zum Beispiel: Gern trüg' neue Sachen
man mal des Abends Ihnen vor -
doch heutzutag', da fehlt zum Versemachen
sehr oft die Laune, der Humor.
Man probt und singt – kein Lied gelingt -
die Muse flieht - was ist das End vom Lied?
Man holt das Alte wieder raus,
man schmückt's mit neuen Scherzen aus, -
braucht alte Verse bloß erneuern
Auf die Regierung, auf die Steuern -
man hat ja stets die Nas' gerümpft,
stets auf die „schlechte Zeit“ geschimpft -
nun macht man bloß bedeutend mehr Geschrei,
Dann ist das Lied so gut wie neu.

2.
Will man sich heute mal erbauen,
ganz weltentrückt von Zeit und Ort,
darf man in keine Zeitung schauen -
man stößt sofort - auf Raub und Mord.
Auch Bücher gibt's, die's Volk vergiften,
kraß, unverständlich, lebensblind -
Doch ich gesteh': es gibt auch neue Schriften,
die sehr gemein-verständlich sind.
Die neuen Herr'n - les' ich nicht gern.
Drum fällt mir ein: Es wird viel besser sein:
Man holt die Alten wieder raus,
setzt in 'nen Winkel sich im Haus,
liest Wilhelm Raabe und Fritz Reuter -
und unter Tränen wird man heiter.
Die Gegenwart entschwindet weit -
man denkt der guten, alten Zeit,
denn unsre Jugend, die Vergangenheit
Ist stets die gute, alte Zeit.

3.
Wir haben jetzt 'ne Volks-Regierung -
der Staat bekam 'ne neue Form -
ganz andre Leute hab'n die Führung -
ja, die Reform - ist ganz enorm.
Nichts Altes will uns mehr behagen -
's komm'n neue Paragraphen raus -
doch manches Mal, da gießt man, sozusagen,
das Kind mitsamt dem Bade aus.
Man hat geirrt - man wird verwirrt.
Weiß keinen Rat - was ist das Resultat?
Man holt das Alte wieder raus -
„Wie war das früher?" ruft man aus, -
denn wenn auch vieles schon verjährt ist,
's gibt manches Alte, das bewährt ist -
drum sag' ich keck und voller Mut:
das Neue ist nicht immer gut -
und umgekehrt, wie man gesinnt auch sei:
das Gute ist nicht immer neu.

4.
's gibt neue Tänze jetzt, sehr heiter -
die werd'n der Jugend eingeochst -
's gibt Foxtrott - Shimmy - und so weiter -
man springt und foxt - man ringt und boxt -
man hopst und trottelt voller Drastik -
Großpapa sagt zur Großmama:
„Das ist kein Tanz - das ist schon mehr Gymnastik -
ich kriegte Bauweh, als ich's sah.“
Wird's stets so sein? Ich sage: Nein.
Es kommt 'ne Zeit, da tanzt man nicht wie heut'!
Man holt die Alten wieder raus,
den Lanner und den Johann Strauß -
man tanzt im schönsten Walzer-Reigen,
da hängt der Himmel - voller Geigen -
Zum Tanze drängt sich alles da -
dann kommt sogar der Großpapa,
führt seine Alte zärtlich in den Saal
Und sagt: „Nun woll'n wir auch noch mal.“

5.
'nen kelinen Renter sah ich stehen
vorm Kleiderspind - sein Schmerz war groß.
Er denkt: Der Gerock mag noch gehen -
doch mit der Hos' - ist nichts mehr los -
Kriegsware war's - sie riß geschwinde -
'ne neue kaufen - da fehlt's hier. (Geste des Geldzählens)
Da fällt ihm ein, ganz hinten hängt im Spinde
die letzte Hose noch von früh'r -
einst ausrangiert - stolz ignoriert -
hing lang' sie drin - jetzt geift er nach ihr hin.
Er holt die alte wieder raus -
sieht sie auch sehr durchsessen aus -
er sagt: „Komm' her, geliebte alte -
und hast du auch schon manche Falte,
der Gehrock deckt die ganze Qual."
Bloß wenn der Wind weht, wird's fatal -
dann flieg'n die Schöße höher und man sieht
ein ungedecktes Defizit.

6.
Einst hatte mancher Ehegatte
'ne kleine Freundin nebenher -
Als man noch alles billig hatte,
fiel das nicht schwer, - heut' kostet's mehr -
Zu teuer wurden Hüte, Kleider -
drum seufzt er tief: „Es tut mir leid -
du bist für mich jetzt unbezahlbar leider -
Drum lebe wohl, du ,teure Maid'.“
Er denkt: „Was tun? - Wen lieb' ich nun?
„Halt“, denkt er schlau - „du hast ja noch 'ne Frau...“
Er holt die Alte wieder raus,
bleibt nun des Abends hübsch zu Haus
Er sagt: „Komm' her, geliebte Alte,
und hast du auch schon manche Falte,
wenn du mich küßt so lieb und treu,
erscheinst du mir so gut wie neu.“
Und sie ist froh und singt voll Seligkeit
ein Loblied auf die heut'ge Zeit.

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