Man wird ja so bescheiden
Original-Vortrag. Text und Melodie von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 333
1.
Als einst der Dollar dreißig stand,
da dachte man: 's ist eklatant,
was müssen wir jetzt leiden.
Heut' spräche man voll Freude schon:
der Dollar steht bloß vier Million',
man wird ja so bescheiden.
2.
Einst vor mein erster Klasse fein,
stieg höchstens in die zweite rein,
die dritte tat man meiden.
Heut' ist die vierte sehr beliebt,
weil es noch keine fünfte gibt,
man wird ja so bescheiden.
3.
Einst sah man sich Italien an –
Neapel seh'n und sterben dann,
so dachte man voll Freuden.
Heut' sieht man nicht Neapel mehr,
am bleibt zu Haus und stirbt vorher,
man wird ja so bescheiden.
4.
Wenn früher Hochzeit ward gemacht,
dann gingen in der Hochzeitsnacht
auf Reisen schon die beiden.
Heut' langt's für beide Teile nie,
er reißt allein – und denkt an sie,
man wird ja so bescheiden.
5.
Der Bücherpreis ward hoch gesetzt,
's langt nicht für die Courths Mahler jetzt,
man konnt' sie so gut leiden.
Nun liest man Altes, 's ist egal,
man liest den Faust zum ersten Mal,
man wird ja so bescheiden.
6.
Einst abonniert man in der Stadt
die „Nachrichten“, das „Tageblatt“
(kann lokalisiert werden)
und andre zu den beiden.
Heut steht man vor der Zeitung hier,
man abonniert sich vor der Tür.
Man wird ja so bescheiden.
7.
Einst schickt' man Ansichtskarten fort –
Geburtstag, Festtag, Ausflugsort –
heut spart man Kart' und Kreiden –
schreibt nur am ersten Januar
und gratuliert fürs ganze Jahr.
Man wird ja so bescheiden.
8.
Einst ging man zum Konzerthaus hin –
man spielte schöne Lieder drin
von Mozart und von Haydn.
Heut stellt man sich vor'n Leiermann,
hört's Lied von den Bananen an.
Man wird ja so bescheiden.
9.
Einst brannte man elektrisch Licht –
heut reicht für Gas, elektrisch nicht.
Petroleum muss man meiden.
Bei einer Kerze fünfzehn Leut'
verkerzen sich die Abendzeit –
man wird ja so bescheiden.
10.
Einst suchte man im Warenhaus
sich in der Woche Waren aus,
um seine Frau zu kleiden.
Heut führt man bei der Sonntagsruh'
sie vors Geschäft und sagt: „'s ist zu!“ –
Man wird ja so bescheiden.
11.
Ich trag' zu Haus 'ne alte Hos',
die hinten etwas bodenlos,
darüber 'n Frack von Seide.
Die Schnippel, die man hinten sieht,
die Decken dann das Defizit,
man wird ja so bescheiden.
12.
Für Haare gibt's jetzt Geld wie nie,
einst ließ man achtlos kürzen sie,
heut lässt man sie nicht schneiden.
Man lässt sie wachsen lang und glatt
und freut sich, dass man 'n Sachwert hat,
man wird ja so bescheiden.
13.
Prozesse führ'n, das gibt sich bald,
zu teuer wird so'n Rechtsanwalt,
auch Ärzte muss man meiden.
Gut, denkt sich mancher, wenn du wart'st,
stirbst du vielleicht auch ohne Arzt,
man wird ja so bescheiden.
14.
Standgeld gibt's Naturalien jetzt,
auch wer sich ins Theater setzt,
braucht nicht Coupons zu schneiden.
Wer Butter bringt, sitzt vorne drin,
da (nach hinten zeigend) kommt die Margarine hin,
man wird ja so bescheiden.
15.
Ein Landwirt heute hat kein Geld,
der tut nur dümmer auf das Feld,
auf Wiesen und auf Weiden.
Der steckt sich nicht Devisen ein,
der steckt's bloß in die Wiesen rein,
der ist ja so bescheiden.
16.
Im vollen Steueramte stand
Herr Stinnes hinten an der Wand,
Tat seine Zeit vergeuden.
Sprach höflich dort zu all den Herr'n:
„Zahl'n sie man erst, ich warte gern,
ich bin ja so bescheiden.“
17.
Einst hatt' 'ne köcheln jede Frau.
Heut' Koch sie selbst – 's klappt nicht genau.
Es macht ihr Müh' und Leiden –
und er – er frisst's mit trüben Sinn,
und denkt: „Ach! 's bleibt er doch nicht drin!“
Man wird ja so bescheiden.
18.
Wem früher seine Frau zu alt,
der nahm sich ein Verhältnis bald,
das muss man heute meiden.
Man holt die Alte wieder raus
und pust't vorher die Lampe aus,
man wird ja so bescheiden.