1. Es gibt ’nen Spruch – man kennt ihn überall:
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!
Daß dieser Spruch sehr wahr auf jeden Fall,
das kann im Leben oftmals man erproben.
Zum Beispiel, jüngst ging ich mit meiner Frau
nebst Kind und Kegel in den Wald spazieren.
Es war sehr warm – die Lüfte wehten lau
und alle Vögel hört’ ich musizieren.
Froh rief ich aus: „Heut ist ein schöner Tag!“
Da blitzt es hell – ich hör’ den Donner toben –
es regnet stark – ich denk’, mich trifft der Schlag!
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!
 
2. ’s heißt in der Regel: Wer die Tochter liebt,
kommt auch der Mutter huldigend entgegen.
Daß es solch anspruchsvolle Mütter gibt,
will ich versuchen, Ihnen klarzulegen.
Ich traf ’ne Mutter mit ’nem Töchterlein –
ich liebte diese Tochter ohne Frage –
drum huldigt’ ich der Tochter nur allein
und sagte ihr an einem schönen Tage:
„Sie sind so herrlich wie der heut’ge Tag!“
Da hat die Mutter zürnend sich erhoben.
Hieraus ein jeder leicht erkennen mag:
Man darf den „Tag“ nicht vor dem „Abend“ loben!
 
3. Ein junges Mägdelein, erst zwanzig Jahr,
hat sich ’nen Fünfzigjähr’gen auserlesen.
Nur, weil er reich, folgt sie ihm zum Altar –
die wahre Liebe ist das nicht gewesen.
Am Tische sitzt der ganze Hochzeitsschwarm,
im Überflusse schwelgen alle Gäste.
Die Mutter schließt die Tochter in den Arm
und gratuliert der jungen Frau aufs beste.
Sie sagt: „Dies ist der schönste Tag für dich!“
Die Tochter denkt: Das muß man erst erproben.
Der Tag ist zwar sehr schön, doch denke ich:
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!

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