Die echte deutsche Gründlichkeit
ein Hymnus auf den Bürokratismus
von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 227

Der Deutsche ist im fremden Land meist als ein Phi-losoph bekannt
man weiß wir gehn zu jeder Stund dem kleinsten Anlaß auf den Grund
Zu jeder Sache brauchen wir 'ne Menge Zeit und viel Papier.
Darum sei dieses Lied geweiht der echten deutschen Gründlichkeit.

1.
Herr Kunz ist Beamter mit kleinem Gehalt,
er möcht gern etwas mehr, wenn möglich recht bald.
Er hat einen Freund in der Reichstags-Fraktion,
zu dem geht er hin mit der Petition.
"Aber lieber Freund Kunz, das ist ne Kleinigkeit für uns."
Geb'n Sie her das Ding, das geht äußerst flink.
Bei der nächsten Sitzung kommt die Unterstützung."
Ja so sagt er zwar, trotzdem dauerts ein Jahr.
Dann kommt die erste Lesung, und dann die zweite Lesung
Bei der ersten Lesung schwankt man hier und da,
Sagt der eine „Nein“, sagt der andre „Ja“
Bei der zweiten Lesung wird's nicht besser sein
Sagt der eine „Ja“, sagt der andre „Nein“
Und nach der Diskussion, das weiß jeder schon –
geht die Petition in die Kommission.
In der Kommission sitzt man lange im Saal,
dann verschieben's Sie's endlich bis auf's nächste Mal
und beim nächsten Mal ist's die selbe Qual,
dann sagen 'se wieder alle: "Bis zum nächsten Mal."
Und so geht's weiter indessen, es vergehn drei, vier Jahr',
dann ist alles vergessen, es bleibt alles wie's war.

2.
Es kommt die Frau Hess zu nem Rechtsanwalt an.
Die Frau lebt in Scheidung schon lang mit ihrem Mann,
Sie haben nen Sohn von 6 Jahren – den beansprucht Frau Hess,
aber er will ihn auch – und nun gibt's 'nen Prozess.
„Aber liebe Frau Hess, da machen wir doch kurzen Prozess.
Das fangen wir fein an, wir fangen ganz klein an.
Am Sühne-Termin, da fragen Sie ihn:
„Nun soll das Kind mein sein?“ die Antwort wird "Nein" sein,
dann gehn wir ans Schieds-Gericht und ans Justizgericht,
und wenn wir erst soweit steh'n, dann kommen die Gerichtsferien.
Dann geh'n wir wieder weiter, dann ist es gescheiter.
Man nimmt sich für später – noch zwei Stellvertreter.
Herr Maier II und Herr Rosenthal III,
sie kommen dann schon, mit der Revision,
und dann wird wieder ein Jahr vergehn, und dann kommen die Gerichtsferien.
Und dann gehn wir wieder weiter, dann ist es gescheiter,
man geht und verschreibt sich – noch 'nen Vertreter in Leipzig,
denn da ist das Reichsgericht und was höheres gibt es nicht,
und da gewinnen wir schnell - eventuell!
Und ist das alles erledigt mit lauter "aber" und "wenn",
dann ist's nicht mehr nötig, da ist das Kind Majorenn.

3.
In der Straßenbahn saß die Frau Schmidt vor'n paar Tag'n,
hat 'ne Düte mit Äpfeln und vergißt sie im Wag'n,
Das Obst kommt aufs Fundbüro, das ist doch klar,
dort erscheint bald Frau Schmidt und erzählt alles , wie's war.
"Aber liebe Frau Schmidt, se krieg'n sie gleich wieder mit;
Hier hab'n Sie'n Papier, schreib'n Sie auf, bitte sehr,
wo sind sie geboren, wie lang ist das her?
Bitte nicht unterbrechen, hier wird nicht geschimpft.
Wo gingen sie zur Schule? Wo sind sie geimpft?
Wie alt ist die Mutter, wo wohnt der Papa?
Ach, der wohnt woanders? Dann lassen se'n da.
Hol'n Sie ihr Mann, der muß mit unterschreib'n.
Ach, ihr Mann ist gestorben? Dann lassen Sie's bleiben.
Sie hab'n wohl auch Kinder? Acht?? Ist ein  Mahleur.
Sein Sie froh, das er tot ist, sonst krieg'n Sie noch mehr.
Aber nun gehen wir mal weiter. Das Obst, sagten sie,
dass lag in der Düte, beschreiben sie die.
Beschreiben se die Äpfel, schreiben sie ganz genau hin,
wie sahen sie aus? Wie lagen drin?
Bring'n sie alle Papiere – ROM Geburtsscheine an,
und bring'n Sie den Apfelverkäufer mit ran.
Der muß unterschreiben, hier auf dem Papier:
„Die Äpfel, die Tüte sind beide von mir"
Für heut ist's zu spät, wir schließen's Lokal,
morgen ist Sonntag, komm'n sie Montag noch mal,
Da kommt die Frau Montag, Dienstag, Mittwoch mit ran,
und am Donnerstag bringen sie die Äpfel ihr an,
Und die schieben sie ihr hin – ohne Wort, ohne Gruß –
und sie guckt in die Düte – und die Äpfel sind Mus.
Und wenn die Frau schimpft – sag'n die Leute,
"Wir sind fleißig! Halts Maul!" –
Ja, gewiss sind Sie fleißig, aber die Äpfel sind faul.

4.
Fritz Klaus ist ein biederer, sächs'scher Rekrut.
Er steht grad in der Front und es ist ihm nicht gut.
Er hat was im Magen, sagt zum Unteroffizier: (sächselnd)
"Ach, darf ich mal raus? – Ich bin gleich wieder hier!"
„Aber lieber Freund Klaus, da du gleich von hier raus.
Aber n' Moment musst du bleib'n, ich will'n  Weg dir beschreib'n,
damits schneller geht, – sonst kommst du zu spät.
Hier herrscht Disziplin, der mußt dich unterwärfst,
gehst erst zum Major und fragst, ob du därfst.
Musst den Hauptmann dann frag'n, mußt den Leutnant was sag'n,
erstatt'st mir Rapport, und dann kannst du gleich fort.
's wird alles beschleunigt, es wird dir bescheinigt,
Du kriegst ein Papier, und kannst gleich fort von hier.
Du setzt dich in Trab, du trittst hinten ab,
und nach den Abtritt, da gehst du rechts rüber, verstehst du?
Da kommst du  vor's Schilderhaus, rufst da die Wache raus,
zeigst ihr den Schein, und dann kannst du gleich rein.
Der Posten wird rufen: "Gib acht, 's kommen sechs Stufen!",
Du gehst dort in Saal, und dort frägst du noch mal.
Kommst rechts durch 'nen Gang, gehst links dann entlang,
dann bist du schon nah, da bist du gleich da.
Du gehst durch die Mitte, Du machst noch drei Schritte,
da kommt eine Tür und darauf steht - "Hier! ".
Und dann sagt der Rekrut: „Heute brauch ich nicht mehr.
Aber 's nächste Mal meld' ich's 'ne Stunde vorher!“

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