Der Kriegsgewinnler
(1919 entstanden und im August 1919 in Berlin auf Schellackplatte aufgenommen, 1930 als "Herr Neureich" in Auszügen nochmals auf Schellackplatte aufgenommen)
Original-Vortrag. Text und Melodie von Otto Reutter
Teich/ Danner Nr.293

Auftrittsgesang

Seit dem Jahre neunzehnhundertvierzehn
gibt es Leute in der Hautvolee,
die kann man von jedermann umschwirrt seh'n,
früher kann kein Mensch in ihre Näh'.
Reicher wurden sie mit jedem Tage,
alle drängen um die Leute sich.
So'n Selfmademan von neu'sten Schlage,
so ein Mann von heute, der bin ich.
„Wir verlor'n den Krieg“, hör' ich oft sagen,
dieses will mir gar nicht in den Sinn.
Ich verlor ihn nicht – ich kann nicht klagen,
weil ich ja ein „Kriegs-Gewinnler“ bin.
Das ist der neue Reichtum, der mir sehr gut gefällt.
Sie mögen sagen, was sie woll'n: 's Geld regiert die Welt.

Prosa

Jawohl – das hätte ich mir früher als einfacher Schlächter-Geselle ooch nich träumen lassen, dass ich noch
mal durch ganze kleene Bouillon-Würfel zu einem ganz großen Vermögen kommen würde – aber, wer hat – hat –
und „Krieg“ kommt von „kriegen“ her – na, und wenn uns auch jetzt die neue Regierung ein bisschen sehr auf
die Finger klopft, deshalb wird es mir immer noch besser gehen wie manchem Schlächter, der Schlächter
geblieben ist, obwohl ich früher, als ich Schlächter war, auch nicht schlechter war wie heute, wo es mir
besser geht, weil ich kein Schlächter geblieben bin. Darum ist es immer noch besser, man ist kein Schlächter
und es geht einem besser, als wenn man Schlächter ist und man ist besser und es geht einem schlechter.
Besuche Sie mich mal – Sie werden sehen, ich lebe comme il – „floh“ – auf deutsch: unbeschreiblich – aber
ich werde trotzdem versuchen, es Ihnen zu beschreiben.


1.
Eine Villa hab’ ich mir gekauft sogleich,
denn des Menschen Villa ist sein Himmelreich.
Ein verarmter Graf hat sie mir abgegeben.
Sein Wappen ließ ich kleben – aber dicht daneben
steht MEIN Name über meine Tür
und ich stell’ mir gerne unter ihr.
 
2.
In meinen Zimmern liegt ein Teppich auf den andern,
schon vor der Türe dreie, eh’ ins Haus wir wandern.
Und auch „Jobeline“ könn’n wir nicht entbehren,
beim Portier da draußen sind schon zwei „Portjöhren“.
Alles ist aus Seide und aus Plüsch –
der Lateiner sagt: „Nobleß o plüsch.“
 
3.
Unsre Räumlichkeiten zeig’ ich gerne immer –
rechts fünf Herrenzimmer, links fünf Frauenzimmer –
und ein Badezimmer – marmorüberladen,
liegt nach hinten – ich und meine Frau, wir baden
regelmäßig und vergessen’s nie –
einen Sonnabend ich und einen sie.
 
4.
Meine Bibliothek wird riesig schön befunden,
hab’ zwölfhundert Bücher, prächtig eingebunden,
Links fünfhundert rote, graue, grüne, gelbe –
rechts von gleiche Größe ganz genau dasselbe –
mittendrin zweihundert Stück in blau,
ja, die Deckel kenn’ ich ganz genau.
 
5.
Auch geschenkt bekomm' ich manches Buch zum Lesen.
Kürzlich bin ich in Gesellschaft mal gewesen
und mit einem Herrn von aller feinsten Schlage
unterhielt ich mich – und schon am nächsten Tage
bracht' er mir ein Buch von „Knigge“ an.
Das find' ich äußerst noble von dem Mann.
 
6.
Bilder schaffe ich mir allerhand an.
Lang der Platz nicht, bau’n wir noch ’ne Wand an.
Die Tapeten hängen voll von meinem Gelde –
hab’ aus feinstem Öl die feinsten Ölgemälde.
Und an jedem Bild – damit man weiß,
was die Sachen kosten – klebt der Preis.
 
7.
Haben alle Maler mit berühmten Namen.
Kauf' ich Bilder, seh' ich immer nach dem Rahmen,
denn so’n goldner Rahmen ziert die Wand am meisten –.
Ich hab’ die größten Bilder mit den dicksten Leisten –
und ein kleines Bild von Menzel bloß –
Jott – der Menzel war ja ooch nich groß.
 
8.
Auch ’ne Ahnengalerie lass’ ich mir malen.
Durch Bouillon kann ich mit meinem Gelde prahlen.
Drum, wie der eine Ahne wird, so werd’n sie alle,
’nen Bouillonkopf kriegen sie auf jedem Falle.
Und als Schluß der Sammlung im Salon
hängt ein Bild von Gottfried von Bouillon.
 
9.
Auf meinem Schreibtisch hab’ ich herrliche Skulpturen,
aus reinstem Marmor sind bei mir die Gipsfiguren.
Auch ’ne Venus hatte man mir angeboten,
die war von Milo, doch ihr fehlten beide Pfoten.
Da sagt’ ich „Nein, ich laß mir nicht betrüg’n,
für das Geld kann ich ’ne ganze krieg’n.“
 
10.
Auch ’nen Flügel hab’n wir, einen Riesenkasten –
vorne weiße Tasten, hinten schwarze Tasten.
Meine Tochter, die vor lauter Rührung weinte,
spielte gleich darauf von Beethoven „die Neunte“.
„Spiel nicht gleich die Neunte“, sagte ich,
„Die andern achte kenn’ ich ooch noch nich.“
 
11.
Möbel hab’n wir, herrliche und äußerst viele,
besonders Stühle, eng, von ganz besond'rem Stile.
Meine Frau kann solchen Stuhl nur schwer benützen,
sie ist zu breit, – da hat sie keinen Platz zum Sitzen.
Sie kommt ja ’rein, das geht noch äußerst knapp,
bloß wenn sie hoch will, krieg’n wir ’n Stuhl nicht ab.
 
12.
Meine Frau trägt Kleider aus der Kunstwerkstätte –
sie hat die allerfeinste Damen-Toilette.
Und die größten Ringe trägt sie – Riesendinger –
die muß sie haben, denn sie hat sehr starke Finger –
und ein Riesenhalsband ebenfalls,
Denn sie hat ’nen ziemlich fetten Hals.
 
13.
Meine Tochter muß jetzt riesig viel studieren.
Was mir an Wissen mangelt, daß muß sie kapieren.
Wenn wir mal ’ne bessere Gesellschaft geben,
dann sitzt meine Tochter stets bei mir daneben,
und wenn wer an mir ’ne Frage stellt,
dann gibt SIE die Antwort vor mein Geld.
 
14.
Jeden Mittag hab’n wir eine Menge Gäste.
Zu den Gästen sag’ ich: „Essen Sie man feste!
Denn zu Hause krieg'n Sie doch nicht so 'ne Menge.“
Eine Frau ist bis zum Käse alle Gänge
und nochmal zurück bis vorne prompt,
bis sie wieder an die Suppe kommt.

15.
Im Theater sah’n wir kürzlich „Faust und Grete“,
Das ist ein neues Stück von ’nem gewissen Goethe.
Doch ich muß offen sagen, ich konnt’ nicht lachen drüber.
Meine Frau meint auch, ihr wär’ ein Kientopp lieber.
Doch ich sagte: „Laß das Schimpfen bleib’n,
Der Mann wird wieder mal was Bess'res schreiben.“
 
16.
Unsre Dienerschaft gleicht einem Bienenschwarme.
Wir haben vier Mamsells – zwei kalte und zwei warme.
Wir klingeln gern – da komm’n sie alle gleich in Massen,
bloß ’ne alte Köchin hab’n wir gleich entlassen,
weil meine Frau mit der vor zwanzig Jahr’
mal zusamm’n bei eine Herrschaft war.
 
17.
Meine Tochter hat 'ne schöne) hoffe,
der schenk' ich was, wenn ich an ihrer Kammer loofe.
Meine Frau ist stark, – die hat sehr zugenommen,
um die Taille, da ist nicht mehr rum zu kommen,
doch mach' ich bei der die Arme krumm,
weiß ich ganz genau, ich krieg' sie rum.

18.
Auch zu reiten hab’ ich jetzt noch angefangen.
Das ist sehr schwer für den, der stets zu Fuß gegangen.
Wenn ich reit’, brauch’ ich die ganze Pferdelänge,
Sie glauben gar nicht, wie ich an dem Pferde hänge,
Und klug ist das Tier – wenn ich mal fall’
und nach Hause komm’, ist’s schon im Stall.
 
19.
Meiner Frau macht’s Reiten immer viel Vergnügen,
bloß sie ist schwer – nun ist sie schwer aufs Pferd zu kriegen.
Zweie halten ’s Pferd – und dreie müssen schieben,
bis sie hoch ist – und dann steht noch einer trüben,
der nach oben seine Arme hält,
damit sie DRÜB’N nicht wieder ’runterfällt.

20.
Für meine Tochter such' ich nach 'nem Schwiegersohne,
kürzlich kam ein Graf mit einer Grafenkrone.
Doch ich sagte stolz: „Sie sind noch nicht derjen'ge,
's gibt der jetzt 'ne Menge Prinzen und auch Kön'ge.
Davon wähl' ich mir 'nen Schwiegersohn,
da sitzt er besser als wie auf dem Thron.“

Schlussgesang

Das ist ja neue Reichtum,
der mir sehr gut gefällt.
Sie mögen sagen, was sie woll'n:
's Geld regiert die Welt.
 
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Variante auf der Schellackplatten-Aufnahme

Jeden Mittag hab’n wir eine Menge Gäste.
Zu den Gästen sag’ ich: „Fressen Sie man feste!“
„Ich beneide Sie“, sagt mancher, den ich lade.
Dann sag’ ich: „Das WOLL’N wir ja auch grade,
Sie SOLL’N sich ärgern und SOLL’N neidisch sein,
dazu lad’n wir ja die Leute ein!“

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