Der gewissenhafte Maurer
Original-Vortrag von Otto Reutter
Teich/ Danner Nr. 311

(gesprochen):
Meine Damen und Herren, auch in der neuen deutschen Republik
ist die alte deutsche Gründlichkeit nicht ausgestorben.
Ich möchte Ihnen dies an einem Beispiel erläutern.

(Gesang:)

Ich hab' ein Haus in Berlin, daß ist noch wie neu,
Bloß Spartakus schoss oben etwas entzwei.
Nun fehl'n da oben ein paar Steine, 's müssen neue dorthin,
Ich sag' zu 'nem Maurer: „Na die sind doch bald drin?"
„Aber gewiß, lieber Mann, da fang'n wir gleich morgen an!"
Also um acht soll er ankomm'n - 'ne Stunde vergeht -
Da seh' ich ihn rankomm'n - ich sage: „'s ist spät!"
„Nee" sagt er, „'s ist Neune, - 's ist die richtige Zeit.
Der Weg zählt doch mit - und ick wohne sehr weit.
Ick wollt' die Straßenbahn nehm'n - keine zu seh'n,
ick ruf' 'n Auto - "Besetzt!" - na, da mußt' ick doch gehn.
Aber nu geh'n wir ran - nu fang'n wir gleich an!"
Na, nun sieht er sich um, - recht gründlich, exakt -
Was er mitgebracht hat, - das wird ausgepackt. -
Er guckt rauf  nach dem Haus. - „Da fehlt 'n Stein an dem Fleck."
Also nimmt er 'nen Stein - und - legt ihn gleich wieder weg.
Er sucht erst 'ne Leiter, um nach oben zu gehen, -
Trägt sie acht Schritte weiter, - da schlägt es zehn.
Na, nu frühstückt er 'n bißken, holt sein Püllecken raus, -
Steckt die Pfeife in Brand - die geht fünfzehn mal aus. -
Und wie sie brennt, sagt er dann: "Nu fang'n wir gleich an."
Er nimmt noch 'ne Prise - es ist über elbe -
dann nimmt er den Stein, 's ist noch immer derselbe -
Da muß er niesen - der Kopf wird ihm schwer.
Er legt den Stein wieder weg - denn sonst gibt's 'n Malheur.
Er sucht nach 'nem Tuch - er hat leider kein's -
Ich sage: „s' ist gut - hier haben Sie mein's."
Nun fühlt er sich wieder wohl - wie 'n Fisch in der Elbe
und dann nimmt er den Stein - 's ist noch immer derselbe -
Und will auf die Leiter - da schlägt es zwölbe.
Na, nun legt er den Stein wieder weg - seine Frau bringt das Essen -
nach so 'ner Arbeit, da schmeckt's - wird feste gegessen.
Sie setzt sich zu ihm, er setzt sich zu ihr,
es gibt Karbonade und Gurken und Bier -
Dann liest er die Zeitung und sagt entrüstet zu ihr:
„Du, da streiken sie wieder - die soll'n schaffen, wie wir."
Und dann gibt er ihr 'n Küßcken,
Und dann schläft er 'n bißken,
Und dann schlägt die Uhr zwei -
da ist schon die kurze Pause wieder vorbei. -
„Nu", sagt er "geht's ran -
Jetzt fang'n wir gleich an!"
Nun wird der Lehm umgerührt, - der weiche, der gelbe -
Und dann nimmt er den Stein - 's ist noch immer derselbe
Da wird ihm schlecht - die Gurken, das Bier -
Er legt den Stein wieder weg und nimmt sein Zeitungspapier,
Denn der Stein wäre wen'ger geeignet dafür -
Und geht an 'ne Tür
und da steht "Hier!".
Kommt nach drei wieder raus aus dem kleinen Gewölbe
Und dann nimmt er den Stein - 's ist noch immer derselbe
Und geht nun wirklich, ohne Rast, ohne Ruh',
mit dem Stein auf die Leiter - wat sagen Sie nu'? -
Die hat zwanzig Sprossen - jede 'n Fußbreit entfernt,
Aber er geht unverdrossen, - gelernt ist gelernt.
Da, bei der achtzehnten hält er. Die Uhr schlägt vier.
's ist Feierabend - und er steht hier -
Nicht oben, nicht unten - die Sache geht schief.
Er darf nicht mehr weiter - nach'm Tarif.
Er hat noch zwei Sprossen, - aber er darf sie nicht gehn -
Oder achtzehn nach unten - ja, aber nicht mit'n Steen.
Was soll er nun machen - so nah am Ziel?
Er schwankt zwischen Arbeit- und Pflichtgefühl.
Aber 's Pflichtgefühl siegt - „'s ist egal", sagt er grob
Und er läßt den Stein fallen - und mir uff'n Kopp. - -
Und wie ich schimpfe, da sagt er:
"Warum stehn Sie denn hier? -
Wir brauch'n Ihr'n Kopp nich -
sie könn'n schaffen, wie wir."

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