Die große Hitze vom Jahre 1911
ein historischer Rückblick (für alle Zeiten gültig) in Form eines Potpourris
von Otto Reutter
Teich/Danner Nr. 236
(Der Vortragende tritt auf in Trauerkleidung, mit einem Trauerflor am Zylinder)
O Leute weint, heut reiß ich keine Witze,
denn ich beginne mit 'nem Trauermarsch.
Ich will berichten von der großen Hitze;
im Sommer Neunzehnhundertelf war'sch.
An diese Hitze denken auch noch heute
bis in die fernsten Zeiten alle Leute.
Das war ein Sommer hell und klar,
so heiß, wie wohl noch keiner war.
"Wer weiß noch" frug man müd und matt
"wann's letzte Mal geregnet hat?"
Die Leute sannen hin und her,
nicht mal die ältsten wußten's mehr.
O schöne Zeit, o sel'ge Zeit,
wie liegst du fern, wie liegst du weit.
In diesen Sommer hat man viel geseh'n,
ein Ding nur blieb im tiefsten Winkel stehen,
das war ein Ding, für das ich riesig schwärm,
es war ein aufgespannter Regenschärm.
(Wird gesprochen - hierzu kann die Musik einen leisen Walzer spielen bis zum Stichwort: ... rinnen muß der Schweiß.)
Nichts ist schwerer zu ertragen,
Als 'ne Reih' von schönen Tagen.
Vom April bis zum Oktober
Glüht die Sonne wie Zinnober.
Alle gingen an der See 'rum,
Ging'n im tiefsten Negligee 'rum.
Selbst den Frau'n ward alles schwerer,
Sie wurden immer negligérer.
Durch die Hitze, sollt man's glauben -
Gab es gleich gebrat'ne Tauben.
Jeder Apfel an dem Baume
Ward gebacken, wie 'ne Plaume -
Jedes Hühnlein in der Scheuer
Legte hartgekochte Eier.
Jede Kuh gab gern und willig
Warme, selbstgekochte Millich.
In den Restaurants, o Wonne -
Gab's nur Warmes durch die Sonne.
Warmes Bier nur bracht' man her. -
Klaten Aufschnitt gab's nicht mehr.
Butter wurde Suppenfutter,
Käse wurde Mayonaise,
Würste flossen, hingegossen.
Selbst die Sülze sprach: "Ich schmilze!"
"Wasser!" schrie'n die reichsten Prasser.
Selbst die Bayern schrie'n nach Wasser.
Unsre Kriegesdiplomaten
Mußten beim Beraten braten.
Selbst der drallsten Bauerndirne
Rann der Schweiß schon von der Stirne.
Von der Dirne heiß
Rinnen muß der Schweiß.
(Wieder gesungen)
Den Nordpol, den wird niemand mehr ergründen.
Der ist geschmolzen, - keiner kann ihn finden
Und alle Mädchen, - auch die prüden, stolzen,
Die war'n verliebt, denn alle Herzen schmolzen
Die Männer, die sind ohne Rock gegangen,
Das durften sich die FRau'n nicht unterfangen.
Der Vater, Mutter, Bruder, Onkel, Vetter,
Selbst die Friseure sprachen nur vom Wetter.
Sobald zwei Leute sich begegnet,
Da war das erste Wort: "Ach, wenn's doch bloß mal regnet."
Leute, die sich nie gekannt,
Drückten sich die warme Hand.
"Diese Hitze, - wie ich schwitze",
Das war der Unterhaltungszweck.
Und ging die beiden wieder weg,
Lag hier und da ein Wasserfleck.
Alle fuhr zum kühlen Strande - alles ging ins Wasser rein.
im Wasser, im Wasser, da war man voller Freud', -
Da sah man nicht nur Christen, - man sah auch - - andre Leut'.
Denekn Sie sich bloß mal an:
Der Herr Rentier Maier
Sprach voll Stolz: "Ich hatt' im Bad
Jetzt ein Abenteuer.
Fahr' ins Bad schon dreißig Jahr',
Wo ich nie im Wasser war.
Aber diesmal ging ich rein,
Konnt' mich nicht geduld'gen.
Bei der großen Hitze, da
ist das zu entschuld'gen."
Scheint die liebe Sonne so warm und so heiß,
braucht man sehr viel Wäsche, denn der Mensch kommt in Sch - - -
Weißt du, wie viel Hemdenkragen
ich im Sommer durchgeschwitzt?
Wie viel Röllchen ich getragen,
Wie viel Tücher ich benützt?
Wie viel hunderttausend Fliegen
An mir auf- und abgestiegen -
Und wie oft ich in der Nacht
Durch 'nen gewissen Biß erwacht?
Sobald ich liege, da kommt 'ne Fliege
Und beißt mich in das Bein.
Am andern Beine sitzt auch noch eine
Und beißt in mich hinein.
So stört meinen Schlummer - so'n Brummer, so 'n dummer.
Drum denk' ich voller Kummer an den vegang'nen Summer.
Ich kenn' ein Ehepärchen, das nahm sich im schönen Monat Mai, -
Da kam die große Hitze, da war's mit der Leidenschaft vorbei.
Er sprach: "Laß erst August sein, -
Dann komm' ich zum Bewußtsein.
Doch wünsch'st Du Dir 'nen Kuß,
Das tu nie im Juni und Julius."
Dann stritten sich die beiden rum.
Sie sah ihn schmachtend an
Und sprach: "Dein WArten ist zu dumm -
Komm, küss mich, lieber Mann."
"Es ist so heiß", sprach da der Mann,
"Sobald es regnet, fang'n wir an."
Er hieß Theophil - sie hieß Adelheid. -
Alle Tage sang sie voller Traurigkeit:
"O Theophil, - o Theophil -
WAs kriegs'n wir heut für Wetter?
Wie lang ist doch die Sommerzeit -
Wär's doch erst Winter, wo es schneit.
"O Theophil, - o Theophil -
Wie steht ds Barometer?"
Und dann schaut sie nach dem Himmel, und dann weint sie ganz leis,
Denn da scheint die liebe Sonne so warm und so heiß.
Sie sprach verliebt: "O Theophil -
Sei bei der Hitze nicht so kühl.
Du gibst kein Küßchen, Theo, mir,
Bei 30 Graden Reaumur."
"Nein", sprach er, "das ist kein Genuß
Bei vierzig Graden Celius.
Drum laß die Sehnsucht fahren heut'
Bei 60 Graden Fahrenheit."
Ja, so zwei, wie die zwei, gab's keine zwei mehr.
Sobald er mal ausging, rief sie hinterher:
"Schatz, bleib' hier, Du weißt ja nicht, wie's Wetter wird.
Ach, es wär' mir angenehm,
Wenn jetzt ein Gewitter käm'!
Brauchten wir fürs Firmament
Einen Regenschirm am End'?
Käm' doch mal ein Tröppchen,
Käm' doch mal ein Tröppchen -
Käm' ein Tröppchen mir aufs Köppchen"
Und dann schaut sie nach dem Himmel und dann weint sie ganz leis,
Denn da scheint die liebe Sonne so warm und so heiß.
Und so ging ein Monat nach dem andern hin
Und die beiden sangen mit betrübtem Sinn:
"Wir schwitzen so fröhlich beisammen,
Und hab'n doch einander so lieb,
Es kann doch nicht ewig so bleiben, -
Ach, wenn's nur nicht immer so blieb!"
Und es blieb nicht ewig so,
Anders ist es heute.
Vor zwei Tagen traf ich mal
Die zwei Eheleute -
Und sie sprach: "Jetzt bin ich froh,
Wenn ich bei ihm sitze.
Grade, wenn's am kühlsten ist,
Kommt er in die Hitze."
Mit der Historia schließ' ich die Geschichten.
"Die Hitze ist vorbei!" - ruf ich voll Lust.
Nur eines will zum Schluß ich noch berichten:
"Mensch, wenn Du krank bist, wenn Du schwitzen mußt,
Und, wenn Du glaubst, daß Dir kein Mittel helfe,
Ein Mittel gibt's, das bringt Dein Blut in Schwung:
Denk' an den Sommer von Neunzehnhundertelfe,
Dann schwitzt Du gleich - in der Erinnerung."